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Demmlergrab
Architektur und Symbolik des Demmler-Mausoleums in Schwerin – Mysterium eines Freimaurergrabes
Fredrik Wulz (Professor für Architektur, Wien)
Schwerin besitzt einen einzigartigen, freimaurerischen Schatz: das Demmler Mausoleum auf dem Alten Friedhof. Es ist eines der seltenen freimaurerischen Bauwerke, einzigartig in Europa und vielleicht in der ganzen Welt.
Das Mausoleum ist ein Anschauungsbeispiel für die reichhaltige und tiefgründige symbolische Welt der Freimaurerei, der Symbolik, mit deren Hilfe die Tugenden, Werte und Lebensregeln veranschaulicht werden, nach denen die Freimaurer versuchen, ihr Leben einzurichten. Das geht auch aus einem Brief Demmlers hervor, in welchem er sich zur Freimaurerei bekannte, da er "in diesen [freimaurerischen] Lehren und symbolischen Erklärungen auch das Streben nach Wahrheit, Freiheit und Recht erkannte [und] weil in ihnen die allgemeine Menschenliebe ohne Rücksicht auf Geburt, Stand und Wissen grundsätzlich gelehrt wird". Im Sinne der freimaurerischen Fürsorge für die Menschen stiftete er in seinem Testament den "Demmler Preis", der vergeben werden sollte "für die Ausarbeitung einer das Wohl der Menschheit fördernden Aufgabe im Gebiet der Wissenschaft oder des praktischen Lebens" – das war 20 Jahre bevor der schwedische Industrielle Alfred Nobel den Nobel-Preis für Wissenschaft, Literatur und Frieden stiftete. Demmlers Leben, sein selbstloses gesellschaftliches Engagement zeugen von dieser Auffassung.
Georg Adolph Demmler, der große Architekt Schwerins, wurde 1826 nur 22 Jahre jung in die St. Johannisloge „Harpokrates zur Morgenröthe" in die Freimaurerei aufgenommen. Er war sein Leben lang engagierter und aktiver Freimaurer, nicht nur in der brüderlichen Vereinigung der Freimaurer, sondern insbesondere als Mensch im täglichen Leben. Wie wir Freimaurer sagen: "Er setzte das Wort in die Tat um".
In seiner Grabkapelle am Alten – damals Neuen - Friedhof hat er die freimaurerischen Ideale im Jahr 1864 in Stein gesetzt. Dieses Grabmal ist die letzte Ruhestätte für ihn und seine geliebte Gattin – womit er auch der Achtung der Freimaurer für die Frauen ein Denkmal setzte. Als angesehenem Bürger der Stadt war es Demmler vergönnt, den Platz für sein Grabmal wählen zu dürfen.
Statt auf einer triumphierenden Anhöhe, welche seiner bürgerlichen Stellung entsprochen hätte, wählte er eine Stelle auf einem von der Stadt etwas abgewendeten Abhang. Diese Platzwahl deutet darauf hin, dass Demmler etwas vermitteln wollte, das für ihn als Mensch und als Freimaurer von Bedeutung war.
Der Abhang wendet sich gegen Süden mit weitem Ausblick über die Landschaft und einen kleinen See zu Füssen des bewaldeten Hügels. Diese Hinwendung zur Natur nimmt das Grabmonument mit seiner Richtung zur Landschaft auf, die damals – so müssen wir uns es vorstellen – nur vom Horizont und dem Himmelsgewölbe begrenzt war. Mit diesem Weitblick vom Grabmal manifestierte Demmler die Einheit der Welt mit dem Kosmos und gab damit unseren Platz im All an.
Die Grabkammer mit ihren mit Immer-Grün bewachsenen Wänden öffnete sich mit der verglasten Tür gegen Süden. Durch diese Öffnung sollte nach Demmler das Licht des Tages und der Nacht einfallen, der lebenswarme Schein der Sonne und das geheimnisvolle Glitzern des Mondes und der Sterne. Nie sollte Finsternis, sondern immer das helle Licht die Grabkammer erfüllen, das Symbol der Erleuchtung und der Wahrheit, das die Freimaurer erstreben.
Das versinnbildlichen auch die freimaurerischen Symbole, mit denen das Grabmonument versehen ist. Diese sind keine ästhetisierenden Verzierungen, sondern statuieren in dieser Situation ihren von Raum und Zeit unabhängigen ideellen Wert. Zu den für Freimaurer wichtigsten Symbolen zählen das Winkelmaß und der Zirkel. Das Winkelmaß mit dem 90 grädigen Rechten Winkel repräsentiert die Gerechtigkeit. Wie der rechte Winkel ist diese unbeugsam und unveränderlich, eindeutig und ohne Kompromisse. Denn Gerechtigkeit kann nicht diskutiert werden, es kann nur ein Recht geben. Es ist recht, gerecht zu sein.
Der Zirkel dagegen ist flexibel. Er setzt in einem fixen zentralen Punkt ein, seine Öffnung variiert jedoch. Das kann als Ausdruck der allumfassenden Menschenliebe angesehen werden und als das verzeihende tiefe Verständnis aus Einsicht in das unperfekte Mensch-Sein. Der mit dem Zirkel gezogene universelle Kreis stellt seinerseits das große Ganze dar, die allumfassende Einheit des Menschen mit dem Kosmos.
Auch der schaffende Mensch wendet symbolisch den Zirkel in seinem Wirken an. Denn es muss überlegt sein, wo der Zirkel angesetzt wird und wie groß der Radius ist, mit welchem das, was von Gewicht und Wert ist, umfangen werden soll. Die Flexibilität des Zirkels ist das Gegengewicht zur Strenge des Winkelmaßes, um unmenschliche Rigidität zu vermeiden. Es macht den Zirkel zum Zeichen des Überdenkens im Gegensatz zum voreiligen Verurteilen, und er ist damit das Symbol der Toleranz und der Gnade, wie im Ausspruch "Gnade vor Recht ergehen lassen".
Das Grabmonument hat die Form eines Kubus, der sich in den Berg hinein zu versenken scheint, gleichsam eine Pforte in die Todeswelt und in die Welt des Unbekannten. Aber gleichzeitig – und das entgeht den meisten Betrachtern – tritt der Kubus aus dem Berg hervor. Er befreit sich sozusagen von der Umarmung der Finsternis und tritt dem Licht entgegen. In diesen beiden polaren Bewegungen – Versinken und Hervortreten – zeigt sich der ewige Kreislauf und das urmenschliche Streben nach dem erleuchtenden Licht, nach Weisheit und Vernunft.
Der Kubus, dessen geometrische Eigenschaft der rechte Winkel ist, ist einer der fünf platonischen Idealkörper und ein archaisches Symbol der Standhaftigkeit, der Festigkeit, der Unbeirrbarkeit, sich für die Ideale der Menschheit einzusetzen. Als Form des Salzminerals, das kubisch in der Tiefe der Erde zu wachsen scheint, weist der Kubus auf das Gute und Wertvolle hin, das im Menschen vorhanden ist und das aus dem Verborgenen hervortritt. Die einfache, reine Kristall-Form des Kubus verkörpert für die Freimaurer den Sinn der ideellen Arbeit an sich selbst: das Streben nach Schlichtheit und nach Vollendung als Mensch.
Das Grabmonument des Freimaurers Demmler an einem Seitenweg am Alten Friedhof in Schwerin ist verborgen und
muss gefunden werden. Es ist vorhanden und so beredsam für denjenigen, der sich in Stille mit den ewigen Fragen des Lebens und des Todes auseinandersetzen will. Die Grabkapelle ist die ultimative Präsentation von Demmlers Mensch-Sein und als letztes Wort sein freimaurerisches Vermächtnis, das zur Besinnung mahnt – was heute mehr denn je notwendig ist.
Foto: Claus Hemmer. Literatur: Wulz, Fredrik: Das Mysterium eines Freimaurergrabes, Schwerin 1998.